Elisabeth Brunnschweiler,
Kundin der Tagesbetreuung

«Früher hatte ich gelernt, dass man sich anpassen muss, damit es einem am neuen Ort gefällt. Heute gefällt es mir überall.»

Elisabeth Brunnschweiler, Jahrgang 1952, kommt seit 2017 zweimal pro Woche in die Tagesbetreuung. Ihr Mann Otto, mit dem sie in Brugg lebt, bringt sie in den süssbach und holt sie wieder ab.


Seit einer Hirnblutung ist Elisabeth Brunnschweiler nicht mehr ganz so mobil wie früher, doch sie beteiligt sich mit grosser Freude an den abwechslungsreichen Aktivitäten der Tagesbetreuungsgruppe: Basteln, Stuhlgymnastik, Gesellschaftsspiele und vieles mehr. Coronabedingt kann die Gruppe nicht mehr gemeinsam kochen und erhält das Essen aus der Küche gebracht, aber sie sieht, wie so oft in ihrem Leben, auch die positive Seite: «Da dürfen wir bestellen, was wir wollen. Und das Essen ist hier sehr gut, das ist für mich eine grosse Freude.»

Die gebürtige Grabserin hat die bemerkenswerte Gabe, ihr Leben anhand typischer kleiner Geschichten zu erzählen. Meist sind es humorvolle Anekdoten; doch selbst den weniger schönen Seiten ihres Lebens kann sie mit erfrischender Offenheit und herzhafter Wortwahl die Schwere nehmen. Etwa, wenn sie ihren Vater eine «Wanderniere» nennt, denn er wechselte öfters die Arbeitsstelle. Die häufigen Schulwechsel seien für sie und ihre Geschwister «nicht so lustig» gewesen, sagt sie. «Aber ich habe etwas gelernt: Man muss sich anpassen und dann gefällt es einem. Mir gefällt es heute überall.» Nebenher betrieben die Eltern einen kleinen Bauernhof mit ein bis zwei Kühen und Kälbern. Sie erinnert sich mit Begeisterung an ihre Ferien im Toggenburg, in die sie mit Traktor, Anhänger und Kuh gefahren sind: Mein Vater hat auf dem Anhänger eine Wand mit Brettern gemacht, Matratzen hingelegt, und da lagen wir als Kinder und so fuhren wir ins Toggenburg. Die Kuh kam mit, damit die Familie immer frische Milch hatte. Alle anderen Lebensmittel haben sie und ihre Zwillingsschwester mit dem Rucksack auf die hoch oben gelegene Hütte getragen, darunter auch die grossen Brotlaibe, die es heute nicht mehr gibt. Das sei die schönste Zeit ihres Lebens gewesen, sagt Elisabeth Brunnschweiler.

Die unbeschwerte Kindheit war abrupt zu Ende, als der Vater 1963 bei der Arbeit verunglückte – im selben Jahr, in dem John F. Kennedy erschossen wurde. «Mein Vater starb im Juni, der Kennedy im November und wissen Sie was? Mein Vater glich dem Kennedy vom Gesicht her, und beide waren Ende 40.» Danach kamen sie und ihre Zwillingsschwester in ein Kinderheim nach Pfäffikon ZH. «Die Heimmutter war eine Hexe. Hatten wir etwas Schönes angezogen, mussten wir das wieder ausziehen und etwas anderes anziehen, die hat uns das missgönnt.» Es folgten angenehmere Heimleiter, die Zwillinge freuten sich über das Privileg eines Doppelzimmers und traten bei Schultheateraufführungen als tanzende Kessler-Zwillinge auf, begleitet von Jubel und Applaus. Später gingen die Mädchen als Hausangestellte bei Familien in Stellung. Als junge Frau arbeitete Elisabeth einige Zeit im Kantonsspital Glarus. Eine Begebenheit ist ihr unvergesslich: Zu ihren Aufgaben gehörte es, verstorbene Patienten für den Sarg vorzubereiten. «Einmal haben wir vergessen, die Zähne in den Mund zu stecken, da musste ich mit diesen Zähnen in die Leichenhalle und klopfen und dann dachte ich: Wer kommt denn, wenn ich klopfe? Da ist ja ein Mann, der Dienst hat, weil es kommen immer wieder Tote, nicht hereinspaziert, aber gebracht. Ich sage Ihnen, solche Angst hatte ich noch nie in meinem Leben wie damals!»

Etwa in dieser Zeit lernte sie bei einer Jugendgruppe einen jungen Mann kennen. Er absolvierte gerade die Ausbildung zum Briefträger und war voll im Prüfungsstress. Ausserdem war er kein Bauer – ein schweres Manko in den Augen der jungen Frau, die in Erinnerung an ihre eigene glückliche Kindheit auf dem elterlichen Hof auf einen Bauern gehofft hatte, aber: «Damals gab's diese Sendung noch nicht, Bauer sucht Frau, und dann ist er gekommen», sagt sie mit neckischem Seitenblick auf Otto. Inzwischen sind sie seit 42 Jahren glücklich verheiratet, haben vier Kinder und sechs Enkelkinder.

Elisabeth Brunnschweiler könnte noch weitere prägnante Geschichten aus ihrem Leben erzählen, aber es wird Zeit, in die Tagesbetreuung zu gehen. Sie malt gerade etwas, vielleicht einen Stern, so genau weiss sie es nicht mehr, es ist auch nicht so wichtig. Die Hauptsache ist: Es macht ihr Freude.